Müll mit Seeblick

von Johannes Drosdowski & Alesia Mansaku

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Aleksander Filipi blickt auf die sanften Wellen des Ohridsees, während seine Füße leicht modrigen Sand und verrottenden Müll berühren. Filipis Haus liegt am albanischen Ufer des Sees – direkt am Strand, direkt im Müll, der sich Kilometer um Kilometer entlang des Ufers erstreckt. Filipi liebt den See.

Am Fuße einer Aussichtsplattform, zwei Kilometer östlich von Pogradec liegt ein Hund. Sein Kiefer klafft offen, als würde er hecheln, langsam krabbelt eine Fliege in seine leeren, verfallenden Augenhöhlen. Unter der Plattform haben sich Plastiktüten, verrottende Adiletten und ein Stuhl verfangen. Im Wasser rollt idyllisch eine Flasche im Rhythmus der Wellen. Der Ohridsee hat ein Problem.

„Wir leben von einander. Ich von ihm und er von mir.”

„Ich habe schon öfter kurz darüber nachgedacht, Albanien zu verlassen.“ Aber er habe sich entschlossen in Pogradec zu bleiben, am See zu bleiben. Denn vor allem eines könne er nur hier erleben: seine Liebe zur Natur. „Der See ist nicht nur meine Heimat. Wir leben von einander. Ich von ihm und er von mir.“

Wenn der 33-Jährige mit seinem Halbtagsjob als Erdkundelehrer fertig ist, führt er Touristen und Jugendliche durch die Natur rund um seine Heimatstadt Pogradec, an den See, in die Bergkette, die ihn westlich vom Rest Albaniens abzutrennen scheint. Mit Kanutouren und auf dem Mountain Bike will er die Menschen mit seiner Liebe für den See infizieren und sie auf diese Weise dazu bringen, sich mit ihm gegen dessen Vermüllung zu verbünden. Als Kind schwamm Filipi in der kühlen großen Freiheit des Sees. Heute lassen dort viele nicht mehr ihren Alltag hinter sich, sondern ihre Abfälle.

Knapp 370 Kilogramm Müll kommen pro Jahr auf jeden Albaner. Fast 37.000 von ihnen leben allein in der Stadt Pogradec. Pro Kopf produzieren die Albaner fünf mal weniger Müll als die Deutschen – das Müll-Management allerdings ist der Knackpunt. In Pogradec gibt es zwar eine Müllabfuhr. „Aber sie kommt nicht immer“, sagt Aleksander. „Eigentlich nie.“ Die Leute müssen ihren Müll anders loswerden, ihn entweder direkt zur Müllkippe bringen, oder in die Natur werfen. Nicht nur die Pogradecer verursachen das Müllproblem, sondern auch jene Menschen, die an den Zuflüssen des Sees leben. Der Fluss Drilon, der nur wenige Kilometer vom Ohridsee seinen Ursprung hat, schwemmt Matten aus Müll in den See.

„Manchmal kann ich nicht anders, weil es mich so traurig macht.”

„Wir müssen den Leuten hier Umweltbewusstsein beibringen, aber nicht indem wir sie schimpfen, wenn sie etwas falsch machen. Wir müssen es ihnen beibringen durch unsere eigenen Handlungen. Etwa indem wir den See säubern und es jeder sehen kann“, sagt Aleksander. Obwohl: „Ja, doch, manchmal muss ich ich ihnen einfach sagen, dass sie ihren Müll ordentlich entsorgen müssen. Manchmal kann ich nicht anders, weil es mich so traurig macht.“

Der Ohridsee ist nicht irgendein See. Er ist der älteste Europas: Während die meisten Seen der Welt erst 10.000 bis 45.000 Jahre alt sind, ist der Ohridsee schon vor zwei bis vier Millionen Jahren entstanden. Im Osten wie Westen wird er begrenzt durch enorme Bergketten, die ihn und das Reservoir, aus dem er sich speist, nahezu komplett vom Rest des Balkans abschneiden. Über 300 Tier- und Pflanzenarten existieren nur hier, auf den über 350 Quadratkilometern See, es gibt sie an keinem anderen Ort der Welt. Viele von ihnen sind bedroht.

Während die Albaner erst langsam beginnen, sich deswegen mit dem Schutz des Sees auseinanderzusetzen, sind ihre Strandnachbarn schon weiter: Zwei Drittel des Sees gehören zu Mazedonien und sind seit 1979 UNESCO Welterbe. Auch Albanien will nun dazugehören. Für die Regierung des kommunistischen Diktators Enver Hoxha jedoch war die UNESCO der Feind, eine kapitalistische Organisation, die den wahr geglaubten Traum des Sozialismus zerstören könnte. Die Grenze zwischen Albanien und Mazedonien, nur wenige Kilometer von Pogradec entfernt, blieb verschlossen, bis 1992 die Demokratie in Albanien Einzug hielt.

1,7 Millionen Euro stellte die EU Albanien im Jahr 2014 bereit, um sich nun auch mit ihrem Ufer des Ohridsees auf den Status als Welterbe bewerben zu können. Aleksander Filipi war Teil des Bewerbungsteams, das im Frühjahr 2016 seine zweijährige Arbeit begann. In dieser Zeit, hat er für die UNESCO Treffen mit albanischen wie mazedonischen Bewohnern der Region organisiert. „Der Fokus lag darauf, Menschen beizubringen, dass sie sich um den See kümmern müssen. Gleichzeitig sollte es aber auch eine Verbindung und Verständigung der Menschen über die Landesgrenzen hinweg geben.“

Doch es sind nicht nur die Einheimischen, die sich einen anderen Umgang mit diesem Juwel angewöhnen müssen. Auch die rund 300.000 Touristen, die jedes Jahr an den Ohridsee reisen, tragen zu Filipis Unglück bei. An den Stränden von Pogradec steht Hotel an Hotel - eigentlich verbietet ein Gesetz, so nah am See zu bauen. „Besonders die Entwicklung des Tourismus wollten wir während des Projektes genau beobachten und lenken. Zu einem nachhaltigen Tourismus hin, bei dem das natürliche Erbe dieser Region bewahrt wird“, so Filipi. Er traf sich mit Restaurantbesitzern und Hoteliers, den größten Produzenten von Müll in Pogradec. Er diskutierte mit ihnen, ob man Plastik einsparen könne, entwickelte mit ihnen Pläne und berät sie selbst jetzt noch, obwohl sein Job für die UNESCO bereits beendet ist. Dort diskutiert man aktuell: Wird auch der albanische Teil des Sees Welterbe?

Schon vor 8.000 Jahren haben sich hier die ersten Menschen angesiedelt, der See hat sich tief in ihre Kultur und ihre Lebensweise eingebrannt. Fast jeder Besucher isst gebratenen Koran, einen Fisch, der nur im Ohridsee lebt und lange Jahre bedroht war wegen der dauerhaften Überfischung. Im Sommer veranstaltet Pogradec jedes Jahr ein großes Seefest, die Nachbarstädte, auch die mazedonischen sind eingeladen, man kommt zusammen, teilt Musik, Essen, Geschichten aus und über den See.

Der Maler Anastas Kostandini wurde 1954 in Pogradec geboren und will niemals weg. "Könnte die Sonne irgendwo anders denn strahlender sein?"
„Der See ist der Grund, warum ich überhaupt Künstler geworden bin.”

„Der See hat viele albanische Poeten und Künstler erst berühmt gemacht“, erklärt Filipi, „weil er es war, der sie inspiriert hat.“ Lasgush Poradeci ist einer dieser bekannten albanischen Dichter, der einige seiner Gedichte dem See gewidmet hat. Einer der bekanntesten Künstler der Region ist ein Onkel Filipis, der Maler Anastas Kostandini. Sein Haus liegt in der Innenstadt von Pogradec. Jeder scheint es zu kennen, das große Eingangstor in den Hof ist bemalt mit Szenen aus dem See. Kostandini hat schon in Deutschland ausgestellt, in den USA, Bulgarien und Frankreich, doch weg will er nicht. „Der See ist der Grund, warum ich überhaupt Künstler geworden bin“, sagt er, während Sonnenlicht durch das Speicherfenster auf ein Bild fällt, das tanzende Kinder am See zeigt. „Der See ist ein Teil von mir.“

Keines der Bilder zeigt Müll. „Wenn ich male, mag ich vielleicht mit beiden Füßen im Dreck stehen“, erklärt der Maler. „Aber ich sehe einfach nicht runter, ich blicke nur auf den See – am besten aus der Ferne, damit man den Müll auch wirklich nicht zeichnen muss.“

Wer das Haus von Anastas Kostandini betritt, bekommt die beste Sicht auf den See.
Im Treppenhaus: Auch hier trifft man berühmte Künstler, wie etwa Vangjush Mio, hier gemalt von Kostandini.
Im Speicher hängen Kostandinis liebste Werke.
Auf der Suche nach seinen wichtigsten Zeichnungen.
"Einzug nach Pogradec aus Tirana" 14. August 2017
Rechts die Stadt Pogradec, links der See, der von der Sonne erwärmt wird.

Filipi glaubt daran, dass er bald nicht mehr alleine ist mit seinem Engagement. Viele Menschen aus seinem Umfeld beteiligen sich bereits am Umweltschutz, es werden immer mehr. Der Aktivist ist zuversichtlich: „Ich denke, dass wir all die anderen Menschen hier am See schon sehr bald zu einem Teil dieses Umweltbewusstseins machen können und dass sie versuchen, den See so sauber zu halten wie nur irgendmöglich.“

Schon jetzt hat Filipi viele Mitstreiter im Kampf um eine Zukunft für die einzigartige Natur Albaniens: Auch im Rest des Landes sind Umweltaktivisten dabei, ihre Welt zu verändern. Wenige Kilometer entfernt, an einem der Speicherseen des Ohridsees zählen Tierschützer die bedrohten Krauskopfpelikane. In den nördlichen Bergen beobachten Jugendliche und Professoren die vier letzten noch lebenden Balkanluchse. Und an der Mittelmeerküste haben sich Historiker, Biologen und Bevölkerung einen großen Sieg errungen: den Baustopp für eine riesige Hotelanlage mitten im Naturschutzgebiet.