Mischt euch ein!

von Christoph Kürbel & Sirma Molla

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Er bestellt einen Doppio Machiato und sagt gleich, dass er nicht viel Zeit hat. Im Café hat sich eine lautstarke Gruppe Touristen breit gemacht und Erdion Maçolli versucht sie zu übertönen. Obwohl die Sonne auf die Strandpromenade am Ohridsee brennt, trägt Erdion über seinem langärmeligen Hemd sogar noch einen Cardigan. Immer wieder wird unser Gespräch unterbrochen. Aus Erdions Handy kommt albanische Folkloremusik und hastig geht er dran. Es sind junge Menschen aus seinem Heimatdorf Pogradec, die ihn anrufen. Erdion ist der Vorsitzende des Jugendverbands der „Partia Demokratike“ des kleinen Fischerstädtchens ganz im Osten Albaniens. Er selbst ist nur noch am Wochenende hier – und dann will ihn jeder sehen. Mit 24 Jahren hat er 2017 für die albanische Parlamentswahl kandidiert. Seine Partei verlor gegen die Sozialisten des derzeitigen Premierminister Edi Rama und Erdion hat es nicht ins Parlament geschafft. Nervös blickt er auf seine silberne Armbanduhr. Er will nicht unhöflich sein, muss aber das Gespräch beenden, weil er heute noch mit dem Bus in die Hauptstadt muss. „Ich bin verdammt spät dran“, sagt Erdion.

Das Durchschnittsalter der albanischen Bevölkerung liegt bei 33 Jahren. Fast ein Viertel der Albaner ist zwischen 15 und 29 Jahre alt. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 32,5 Prozent. Und selbst wenn sie ein Studium abgeschlossen und einen Job gefunden haben, kommen die jungen Albaner laut dem albanischen Amt für Statistik lediglich auf ein Monatsgehalt von 530 Euro. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist dermaßen schlecht, dass etwa eine Million Albaner seit der politischen Wende 1990 das Land verlassen haben. Sie alle sind auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Ihr Land scheint ihnen nichts zu bieten. Die Probleme liegen aber nicht nur auf dem Arbeitsmarkt und bei der schlechten wirtschaftlichen Lage Albaniens. Drogenkriminalität, Gewalt und undurchsichtige Strukturen in Verwaltung und Politik begleiten die jungen Albaner bei ihrem Erwachsenwerden.

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Albanien ist ein sehr traditionalistisches Land. Die Bindung an die Familie ist besonders stark. Wer nicht eingezwängt sein will in die engen Strukturen des Heimatdorfes, in dem jeder jeden kennt, der geht in die nächstgrößere Stadt. In Albanien bleibt da außer Tirana nicht viel.

„Wenn mich jetzt draußen jemand fragt, ob ich Parteiführer bin, sage ich ja.”

Erdion Maçolli ging 2012 in die Hauptstadt, um dort Jura zu studieren. Er war ein Musterstudent, schloss sein Studium mit besonderen Ehren ab. Nachdem er seine Anwaltslizenz erworben hatte, eröffnete er eine eigene Kanzlei, die er jetzt gemeinsam mit seinem ehemaligen Professor führt. Doch wenn er die Wahl hätte, ob er weiter Anwalt oder doch hauptberuflich Politiker sein will, dann würde er sich sofort für die Politik entscheiden. In der Parteizentrale der „Partia Demokratike“ setzt er sich im großen Sitzungssaal auf den Platz des Parteiführers, grinst über beide Ohren als die Kameras klicken und sagt: „Wenn mich jetzt draußen jemand fragt, ob ich Parteiführer bin, sage ich ja. Ich habe hier gerade angefangen und gleich wollten sie mich als Anführer.“ Doch so einfach ist es wohl nicht. In Tirana herrschen wie im Rest des Landes starke, traditionelle Machtstrukturen vor. Am Ende stoßen auch die Menschen in der Hauptstadt an gläserne Decken und haben neue Probleme.

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Die PISA-Studie hat 2011 festgestellt, dass in Albanien 59 Prozent der 18-Jährigen nicht das Schulniveau erreichen, das die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa) als Grundkompetenz definiert. Das liegt daran, dass albanische Schüler die Highschool absolvieren, eine Unterscheidung in verschiedene Schulformen gibt es nicht. Förderung für begabte und fleißige Schüler gibt es nicht. Anschließend strömen alle an die Unis. Die Noten der letzten drei Schuljahre entscheiden in einem Punktesystem darüber, ob man es an eine Uni schafft oder nicht. Die Universitäten sind bei ihren Anforderungen intransparent. Keiner weiß also genau, welche Punktzahl man genau für welche Hochschule braucht. Auch die Qualität der Universitäten variiert stark. Deswegen verlassen laut dem albanischen Amt für Statistik 25.000 Schulabgänger Albanien für ihr Studium.

Er vertritt die Jugend von Pogradec in Tirana. Hier trifft er sich mit jungen Leuten, die genau wie er in die Hauptstadt gekommen und anfangs orientierungslos sind. Im Gespräch mit ihnen wirkt er enthusiastisch und selbstbewusst. Aber: „Die Albaner vertrauen der Politik nicht, besonders die Jungen. Sie engagieren sich auch nicht für die Gesellschaft, weil sie sowieso nur weg wollen,“ sagt Erdion. Und er hat Recht. Nur 16 Prozent der jungen Albaner sind laut World Vision International in freiwilligen sozialen Projekten aktiv. Für Erdion ist Weggehen keine Option: „Ich habe eine Verpflichtung, mein Heimatland voranzubringen.“ Das will er auch den jungen Leuten in Pogradec vermitteln. Als er mit 16 angefangen hat, auf der Straße Wahlwerbung für seine Partei zu machen, hätte er nicht gedacht, dass er in der Politik wirklich etwas bewegen kann. Mittlerweile hat er bei der Jugend in Pogradec ein Standing. Jetzt will in der Partei Karriere machen. Für ihn ist die Politik aber vor allem Mittel zum Zweck: Er will Probleme lösen.